1. Gesprächsführung in der Vernehmung, in der Begutachtung und in der Anwaltspraxis
Im Lauf der Gründung der Staatsanwaltsakademie (heute an der Universität Luzern), haben
Thomas Hansjakob (1956-2018), Christoph ILL (als Erste Staatsanwälte im Kanton St. Gallen und Kursleiter) und ich seit 2002 die Vernehmungstechnik professionalisiert. Sie soll allen rechtsstaatlichen und prozessualen, allen logisch-kriminalistischen und allen kognitionspsychologischen Anforderungen genügen.
Die 2013 mit ILL in Forum Poenale publizierte Interview-Technik im Trichtermodell gehört heute standardmässig zur Ausbildung aller Magistrat/innen und prozessführenden Anwält/innen in der Schweiz. Es wurde aus der Open Access Datenbank (ZORA) der Universität Zürich bereits über 17'500 mal heruntergeladen cf. ZORA Statistik (Stand Dez. 2024)
Das Recht auf Gehör ist eines der wichtigsten Prinzipien des demokratischen Staates. Es darf auf keinen Fall zu einer bürokratischen "Formalität" degradiert werden. Die innere Haltung der Vernehmenden ist für diese Garantie massgeblich: Authentisches Interesse am anderen Menschen und eine unvoreingenommene Haltung gegenüber allen Prozessbeteiligten, um herauszufinden, was wirklich passiert ist. Das wichtigste Prinzip jeder Einvernahme ist das geduldige Zuhören und das Vermeiden jeglicher Suggestion, um zuerst einen möglichst reichhaltigen und unbeeinflussten freien Bericht über die fraglichen Ereignisse und Zusammenhänge zu erhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine vollständige Schilderung von Ereignissen eine sehr unübliche Aufgabe ist, welche die befragte Personen in aller Regel zuerst überfordert. Selbst die Aussagewilligen liefern meistens nur Zusammenfassungen ab. Man muss sie dann mehrfach auf die Initialfrage des offenen Erzählens zurückführen. Sie dürfen sich wirklich die Zeit und den Raum einnehmen, um alle Erinnerungen hervorzuholen. Rein technisch gesehen wäre die Aufgabe des Anleitens eigentlich nicht schwierig. Trotzdem fällt es vielen Vernehmenden schwer (besonders unter der Arbeitslast), sich zurückzuhalten und längere Schweigepausen zuzulassen. Wer sofort auf sein vermeintliches Beweisziel zusteuert und einen Fragenkatalog "abklappert", stellt sich selber ein Bein: Er oder sie schmälert damit den Beweiswert und riskiert enorme Komplikationen und unnötige Zusatzarbeit. Erst nachdem ein freier Bericht erhoben wurde (in mehreren Anläufen) verengen sich die Befragungs-Techniken zu den offenen w-Fragen und später zu den Vorhalten mit Ungeklärtem, danach zu (vermeintlich oder tatsächlich) Ungereimtem und noch später zu Vorhalten mit anderen Beweismitteln. Wenn nach anfänglichem Bestreiten ein Zugeständis erfolgt, steht einer weiterer Durchlauf des Trichters an, mit der Erhebung eines neuen, freien Berichts (entsprechend dem hermeneutischen Zirkel).
Abb. 1: Das Trichtermodell der Einvernahmeziele und der geeigneten Techniken (Haas & ILL 2023)
2. Die Belastbarkeit von Berichten und Argumenten (Validität)
2.1 Theorie der Validität
Dank der anregenden Diskussionen mit Thomas Hansjakob und Christoph ILL habe ich zur Verbesserung des Erkenntnisgewinns in der Vernehmung auch die Zielvorstellungen präzisieren können: Was zeichnet gerichtlich verwertbare und wissenschaftlich gesehen beweiskräftige Aussagen und Argumente gegenüber wenig brauchbaren Einlassungen aus? Welchen Ansprüchen muss sprachlich transportierte Information genügen, damit sie der Wahrheitsfindung dient?
Da sich die "Wahrheit per se" - unabhängig von menschlichem Wahrnehmen und Denken - nicht eruieren lässt, hat die Wissenschaft bescheidenere Kriterien formuliert, die es zu erfüllen gilt, um die Grenze zur Beliebigkeit abzustecken. Es sind Transparenz, Überprüfbarkeit und Falsifizierung (keine Verstösse gegen das Veto der Quellen). Daraus leitet sich eine Validitäts-Heuristik ab.
Die fünf Dimensionen der Validitäts-Prüfung von Aussagen
I. Quellenvalidität: Präzise Angaben, woher die Information stammen und wo es noch mehr davon hat;
II. Formelle Validität: verbindliche Formulierungen als verständliche und (rein theoretisch) auch widerlegbare Thesen;
III. Interne Konsistenz der Aussagen: sie widersprechen einander nicht gegenseitig, keine Duplizität;
IV. Faktentreue der Aussagen: Sie entsprechen den zu Grunde liegenden und in Reichweite befindlichen anderen Quellen der Erkenntnis.
V. Ursachen und Intentionen werden logisch nachvollziehbar eruiert und belegt.
Christoph ILL hat für besonders verlässliche Aussagen den Terminus "Anker" ausgeführt: Anker sind solche Infos, die sich unabhängig verifizieren lassen, ohne dass die befragte Person, das wissen kann. Sie erlauben Rücksschlüsse auf die Glaubhaftigkeit der ganzen Erzählng und auf die Ehrlichkeit der Person. ILL hat zudem die gerichtliche Entscheidungsfindung im Sinn des Aristotelischen Syllogismus aufgearbeitet.
Lügen und Schutzbehauptungen sind übrigens keineswegs immer irrelevant. Sie können unbeabsichtigt Dinge preisgeben, von denen nur die Täterschaft wissen kann: "qui s'excuse s'accuse" oder nach Mark Twain: "Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann."
2.2 Abgrenzung von wissenschaftlichen Indizienbeweisen gegen Beweisillusionen und akademische Gespinste
Für die Validitätsforschung braucht es vielerei Beispiele von nicht tragfähigen Behauptungen und Beweisillusionen, respektive von Bullshit im Sinn des Philosophen Harry Frankfurt. Die Forschung und die Jurisprudenz benötigen aufgeklärte Fälle, um Text- und Bildrezeption sowie Interpretationsmethoden überhaupt weiterentwickeln zu können, also ihre Grenzen und Stärken auszuloten und die Phänomene zu benennen. Auch für die Lehre ist das Sammeln solcher "Narrative" unabdingbar, sei es zur Illustration oder als Übungs- und Prüfungsaufgaben.
Akten aus juristischen Verfahren wären zur Illustration und Erforschung von wenig belastbaren Darstellungen zwar ideal, sind aber kaum verfügbar. Richterliche Konklusionen diskutieren fragwürdige Details in den Einlassungen nicht im Einzelnen - resp. wenn sie dann durch Fakten widerlegt sind, werden einzig und alleine die Fakten aufgeführt und die Schutzbehauptungen nicht mehr. Auch sonst fehlt es an aufgeklärten Fallbeispielen von Humbug, in denen die zugehörigen objektiven Fakten als Dokumente öffentlich in allen Details einsehbar und also überprüfbar sind.
2.3 Geschichtsklitterungen aus der Konstruktivismus-Blase und zugehörige Archivalien als Rohdaten
Weniger gelungene "Narrative" aus dem Dunstkreis von Michel Foucault, Bruno Latour, Paul De Man, Edward Said, Judith Butler, Paul Feyerabend und Konsorten (sog. French "Theory"), die Vernunft und Aufklärung ideologisch ablehnen, eignen sich sehr gut als Rohdaten für die Validitätsforschung. Diese Wissenschaftstravestien beziehen sich auf öffentlich zugängliche Archivalien und Literatur, enthalten keine Geschäfts- oder Amtsgeheimnisse. Ferner ist eine fundierte Kritik an beruflichen Fähigkeiten oder an der Leistung von Autor/innen rechtlich unbedenklich (BGE 105 IV 111) - in der Wissenschaft sogar sehr erwünscht.
3. Aktuell: Postmodernistische Wissenschafts-Travestien von Michel Foucault & Co
Finden Sie heraus, wie die Forschung von dieser Verschwörungstheorie infiltriert und pervertiert wurde und wie man die verborgene Agenda solcher Narrative aufdeckt:
Die Hetzkampagne gegen Juden entsteht nicht erst am Ende eines politischen Niedergangs von infizierten Demokratien: Sie steht am Anfang. Täter/innen streben einen allgemeinen Zusammenbruch der Gesellschaft an, die Zerstörung von Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede. Die nächsten auf der Liste von Angriffszielen sind Frauen, non-konforme Intellektuelle, nicht-neurotypische Personen und sexuelle Minderheiten.
Unternehmen Sie etwas gegen die Gefahr: Verbreiten Sie die Aufklärung und empfehlen Sie den Artikel auf
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New: Antisemitism in the Guise of Scholarship
How academic research became infiltrated and perverted by this conspiracy theory and how to detect the hidden agenda of such narratives:
listen to the interview (generated by AI)
The defamation campaign against Jews is not the end of a political agenda in afflicted Democracies: It is the beginning. The goal of the perpetrators is to unleash a general meltdown of society, the destruction of truth, justice and peace. Next on the list of their targets are women, a non-conformist intellectuals, non-neurotypical persons and sexual minorities.
Please become active against this danger, spread the information and recommend the paper on Research Gate,
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La diffamation des juifs n'est pas la fin de l'agenda politique dans les démocraties affectées: elle est le début. L'objectif des agresseurs est de lancer l'effondrement de la société, la démolition de la vérité de la justice et de la paix. Les prochains cibles figurant sur leur liste sont : les femmes, les intellectuels non-conformistes, les personnes neuro-atypiques et les minorités sexuelles.
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-> weitere Aufklärung von Geschichtsklitterungen der sog. French "Theory" von Michel Foucault und seiner Anhängerschaft: cf. Titel 2 Validität
In den Kulturfächern hat sich unter den Fahnen von "Diskursanalyse", "Akteur-Netzwerk-Theorie" "postcolonial studies", "Wissenschaftsgeschichte", "Dekonstruktion", ... eine Mode von aufbauschender Sensationsberichterstattung in akademischem Gewand breit gemacht. Es handelt sich dabei um eine extreme Auslegung von zweifelhaften und unlogischen Postulaten der oben genannten "Theory" Autoren. Foucaults sog. Diskursanalyse gilt seit langem als gescheitert (cf. Dreyfus & Rabinow 1987). Analytisches Denken, aristotelische Logik und Dialektik sind dort verpönt. In seinem Hörsaal untersagte Foucault die Metakognition und das innovative Denken. Er leugnete Kausalitäten und wollte die Dinge bei einer "konkreten" Beschreibung belassen. Zudem wetterte er gegen die Hegelsche Dialektik, die es erlaubt, hinter Widersprüchlichkeiten zu sehen und diese (manchmal) mit einer Synthese aufzulösen vermag (Archéologie 1969, p. 225 und DE III.221, 1978, p. 471).
Trotzdem hat sich ein Arsenal an Denkfehlern und rhetorischen Tricks aufgrund von Foucaults und Latours Vereinfachungen der Hermeneutik, einer Reduktion auf das schnelle oberflächliche Denken, ausbreiten können (wie Miller 2020 und Breeze 2012 darlegen). Im Zug dieser Polit-Mode ist eine ganze Generation Studierender der Kulturfächer unzureichend und u.U. sogar falsch ausgebildet worden (cf. medialex 2021).
Einige Elaborate aus dem ehemaligen Zentrum Geschichte des Wissens, wie Jakob Tanner, Philipp Sarasin, Michael Hagner, Pascal Germann, Berhard C. Schär, mit ihrem bemerkenswerten Sammelsurium an Fehlleistungen (z.B. 2020a, Fussnote 90, 2019 und 2020b) machten mich ab 2017 auf die postfaktischen Narrative von Konstruktivisten aufmerksam; eine Zufallsentdeckung. Wie ich danach erleben musste, handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall, sondern um eine weltweit aktive akademische Blase. Dieses "Zentrum" wurde 2022 abgewickelt, im Klartext: es wurde aufgelöst.
Die Hochschulhierarchie und die Wissenschaftsverwaltung kommen dem Gebahren leider kaum bei. Dies berichtete vor nicht allzu langer Zeit einer, der es wissen muss: der Geschichtsprofessor Caspar Hirschi. Er amtet als Dekan an der Universität St. Gallen und er erforscht die Macht von Experten (z.B. das Versagen der peer-review in Merkur 2018). Die universitäre Chefetage sähe sich in einer Position der Schwäche so Hirschi (NZZaS 2022): "Ihre Aufgabe gleicht dem, was man im Englischen herding cats nennt: Sie dürfen den professoralen Streunern Futter und Streicheleinheiten verabreichen, aber ja nicht mit Forderungen oder Erwartungen zu nahe treten, sonst setzt es Kratzer ab. Sie selbst werden zudem als kastrierte Forscher belächelt. Wer leitet, gilt in seiner eigentlichen Berufung, der Wissenschaft, rasch als gescheitert."
3.1 Demarkationslinien: Wird die Wissenschaftsfreiheit tangiert?
Meine Kritik richtet sich gegen die Intransparenz und gegen die falsche Etikettierung von Publikationen, die gegen das Veto der Quellen verstossen, ohne dass die Lesenden dies am Text selbst erkennen könnten. Die sog. French "Theory" Jüngerschaft möchte glauben lassen, die Kritik an ihren nicht belastbaren Gespinsten sei ein "Angriff" auf die Wissenschaftsfreiheit. Dies ist eine Schutzbehauptung. Geisteswissenschaftliches Forschen und freie Ideenproduktion sind natürlich völlig legitim, wenn sie sich selbst so deklarieren, respektive wenn es aus ihrer Begrifflichkeit ohnehin klar ist, dass die Thesen nicht empirisch überprüfbar sind. Philosoph/innen, Theolog/innen, Ethnolog/innen. Psychoanalytiker/innen, die offen informieren, sind mit dieser Kritik nicht gemeint. Wer Konzepte wie "Bewusstsein", "Unbewusstes", "Gott", "Sinnsuche" oder "Kultur" verwendet, spielt damit nichts vor. Alle wissen, dass diese Ideen und Konzepte schwer zu definieren und quellenmässig mit materiellen Belegen kaum nachzuweisen sind. Solange kulturelle Studien, Leistungen, Sprachspiele, etc. nicht vorgeben, eine an sich überprüfbare Faktenlage darzustellen, der sie widersprechen, ist daran nichts auszusetzen.
Unwissenschaftlich sind "Konstruktivismus", "Diskursanalyse" und "Akteur-Netzwerk-Theorie" von Latour hingegen, wenn jemand z.B. behauptet, Geschichte darzustellen, dazu einen ganzen Apparat von Fussnoten mit Archivalien, gedruckten Quellen, name-dropping von Sekundärliteratur anführt und die Lesenden dabei in Unkenntnis lässt, dass in den von ihm zitierten Quellen und denen auf seinem Radar sehr oft etwas ganz anderes steht, als das, was er darüber behauptet oder andeutet (cf. Haas in Medialex 2021). Unwissenschaftlich sind die zahlreichen Selbstwidersprüche und Denkfehler, die als "Methoden" angepriesen werden: Sie haben frivole Namen wie "Anti-Hermeneutik" oder "kontrollierte Anachronismen" (cf. Haas 2025 und Haas 2019). Intransparent und somit unwissenschaftlich ist es, den "Werkzeugkasten" Michel Foucaults anzupreisen, ohne klarzustellen, dass dies "keine überprüfbare Wissenschaft" und "keine Philosophie" ist (Droit 1975), sondern "Molotowcocktails" (Foucault DE II.152, S. 725). Intransparent ist es, Carl Schmitts Ideen zum "Begriff des Politischen" (1932) oder Zitate wie "Geschichte der Gegenwart" aus Martin Heideggers "Sein und Zeit" (1927, S. 393) zu propagieren, ohne diese Autoren zu nennen und ohne ihre tiefe ideologische Verstrickung mit dem Nationalsozialismus zu erwähnen.
Dank und Klammerbemerkung: Ich werde seit Jahren von mehreren Historiker-Kollegen und -Kolleginnen fachlich unterstützt, denen ich an dieser Stelle herzlich dafür danke. Keineswegs alle Autor/innen, die sich irgendwann auf Ideen und Texte aus der French "Theory" berufen, verfolgen den verfehlten Ansatz einer Verdachtshermeneutik, dies schreiben auch Miller und Breeze. Eine Pauschalentwertung Geschichtswissenschaft kann aus meiner Kritik an den Ausnahmen nicht abgeleitet werden. In anderen Disziplinen findet sich auch ein gewisses Quantum an wenig validen Studien und methodischen Verirrungen und solche wurden von mir ebenfalls schon kritisiert (vgl. Haas & Cusson 2015). Die meisten Historiker/innen arbeiten seriös, vermögen kritisch zu rezeptieren und beziehen sich auf die vernünftigeren Stellen der besagten Autoren. Beispiele gelungener und sehr lesenswerter wissenschaftshistorischer Werke mit einer adäquaten Rezeption von Foucault, Latour & Co sind: Ritter 2009, vgl. S. 43f, Gausemeier 2005, vgl. S. 31f, Lipphard in Nürnberg et al. 2014. Grimm 2012 hat die ANT von Latour massgeblich verbessert und auf ein wissenschaftliches Level gehoben. Mehr unter Geschichtsvalidität).
4. Systematisches Beobachten und Interpretieren von Texten und Bildern
Wie geht man vor, wenn man noch praktisch nichts weiss und nur wenig Material hat? Wo soll man überhaupt suchen? Dazu braucht es plausible Arbeitshypothesen. Der Anfang jeglicher wissenschaftlicher Bearbeitung eines neuen Kriminalfalles oder Phänomens und das genaue Beobachten und Interpretieren von relevantem Material werden kaum thematisiert. Speziell für Kriminalistik, aber auch für die Phänomenologie in allen Wissenschaften habe ich aus der kognitiven Psychologie und der Wissenschaftstheorie eine Anleitung zum Systematischen Beobachten hergeleitet. Die Anweisungen helfen Wissenschaftlern und Ermittlern gründlicher hinzusehen. Sie sind in einem hermeneutischen Zirkel anzuwenden. Das Vorgehen wäre besonders in der Geschichtswissenschaft hilfreich, um Aussagen unter den Bedingungen von Zensur und Propaganda (im Krieg, unter Diktaturen) zu untersuchen und nicht vorschnell nach ihrem oberflächlichen Schein aus heutiger Sicht abzutun .
Das Systematische Beobachten als Prozedur
Regeln
Zirkel
I. Vergleiche das Beobachtungsobjekt mit Modellen (Standards, Normen, Kategorien von Devianz, ähnliche Fälle, Kontext Information).
II. Beachte sowohl die Form aller Zeichen als auch deren mutmassliche Bedeutung(en).
III. Zerlege - gemäss den Modellen - das Objekt in die funktionalen Komponenten seiner Struktur(en) und untersuche jede einzeln. Daraus ergibt sich ein Inventar an Indizien.
IV. Untersuche Ungereimtheiten, Widersprüche, Fehler, erstaunliche Zufälle (im Inventar aller Zeichen).
V. Untersuche mögliche Abwesenheit wichtiger Zeichen oder deren (vermeintliche) Überflüssigkeit anhand der Modellstrukturen.
Beim systematischen Erfassen aller Details tauchen Ideen auf, wie man den Fall erklären könnte (sog. Abduktion nach Peirce). Die gefundenen Hypothesen sollten nun einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Für jedes Zeichen diskutiert man, in wiefern es eine bestimmte Hypothese unterstützt oder zu widerlegen scheint oder sich nicht einordnen lässt. Die sog. Franklin-Tabelle bietet eine Übersicht der Beweislage zu einer Hypothese, die sich besser diskutieren lässt als ein schriftlicher Bericht alleine.
6.1 Gefährlichkeitseinschätzung von Drohungen und Management solcher Situationen
Anwendungsbereiche: Polizeiliche, nachrichtendienstliche und klinisch-psychiatrische Evaluation von Drohungen, Stalking, bei häuslicher Gewalt, Drohungen gegen Politiker/innen, gegen Behörden und Beamte.
Drohungen, anonyme Briefe, schriftlicher Unfug und andere unangebrachte Mitteilungen sollten als kriminalistische Indizien behandelt werden, die man im gegebenen sozialen, kulturellen und individuellen Kontext interpretieren muss. Kontextspezifisch sind Arbeitskonflikte, häusliche Gewalt, kulturelle Konflikte bei Immigranten, Gewalt und Drohungen gegen Beamte, Drohungen gegen Politiker usw. Das semiotische Modell der Kommunikation besteht aus dem Absender (Täter), der Nachricht, dem Empfänger, dem designierten Opfer und allf. Trittbrettfahrern oder Störeinflüssen. Um eine Situation einzuschätzen, müssen alle Elemente in die Auswertung miteinbezogen werden.
Abb. 4: Semiotisches Modell der Drohung und anderer ungehöriger Kommunikationen
6.3 Eidgenössische Jugend- und Rekrutenbefragung 1997 zu erlebter und ausgeübter Gewalt ch-x
Sind Kriminelle Menschen wie du und ich, die einfach das Pech hatten, in ein Delikt verwickelt zu werden, oder sind sie tendenziell psychisch gestört? Weshalb wird jemand Gewalttäter, weshalb Vergewaltiger? Welche Faktoren spielen dabei eine grosse Rolle und welche eher eine untegeordnete oder keine? Die Befragung von 21'347 Rekruten des Jahres 1997 und einer Stichprobe von 1'160 Nicht-Rekruten bot die Möglichkeit, Straftaten der schweren Art im Dunkelfeld zu untersuchen. Wegen der allgemeinen Wehrpflicht für Männer umfasst die Stichprobe ca. 70% aller 20-jährigen männlichen Schweizer, der Alters-Kohorte.
Als einer der schwergewichtigsten Risikofaktoren für spätere Gewaltbereitschaft und sexuelle Uebergriffigkeit bei jungen Männern, stellte sich ein sexuelles Missbrauchstrauma in der Kindheit der Knaben heraus - nicht etwa körperliche Misshandlungen (ohne sexuelle Komponente). Dieser Faktor erklärte auch vollständig die überproportionale Vertretung von Secondos mit Elternteilen aus Krisengebieten unter den Tätern. Es ist also nicht etwa die Nationalität oder die Einwanderung, sondern ein erhöhtes Risiko, dass sich Sexualtäter an solche Kinder heranmachen können. Mit diesem Ergebnis kann der Xenophobie ein Stück Einhalt geboten werden.
Im Licht der umfassenden Stichprobe von 21'314 gültigen (seriös aufgefüllten) Fragebögen und 900 Variablen zu ganz verschiedenen Einflüssen, konnte auch der Mythos widerlegt werden, dass es die "Repression" sei, welche die Kriminalität erst hervorrufe. Die sog. "labelling theory" hatte - in einem sozialen Rechtsstaat - keinerlei Erklärungskraft für biografisch nachfolgende Delinquenz. Diese These produziert vielmehr selbst das Stigma, das sie vorgibt, zu bekämpfen. Sie unterstellt nämlich den weniger Privilegierten (z.B. ehemaligen Heimkindern) eine Neigung zur Delinquenz und zwar zu Unrecht - wie die Daten gezeigt haben. Die Ideologie ist jedoch eine Untote und wird es wohl noch länger bleiben. Sie wird von Politaktivisten und von geschäftstüchtigen Sensationshaschern künstlich am Leben erhalten.
Abb. 5: Die Erhebung durch die Experten der ch-x im Jahr 1997
Zur Wahrung von Anonymität und Ruhe werden die Rekrutenbefragungen unter der Aufsicht von externen Experten durchgeführt (das sind i.d.R Lehrer, militärische Vorgesetzte hat es im Raum keine). Zwischen zwei Rekruten hat es zudem einen leeren Platz und vorne steht eine Urne. Jeder einzelnen Frage wurde das Item "ich möchte nicht antworten" beigefügt, damit die Freiwilligkeit vollständig garantiert war und niemand im Saal merken konnte, wenn jemand seine Privatsphäre nicht preisgeben wollte. Am Schluss warfen alle Rekruten ihren Fragebogen in eine Urne (mehr dazu: Rekrutenbefragung 1997)