Traumberuf Profiling
Geneigte Leserinnen und Leser,
Profiling - der coolste Job der Welt! Man eilt von Tatort zu Tatort. Dort "löst" man kraft seiner messerscharfen Logik und seines "FBI-Geheimwissens" über die Persönlichkeit von Kriminellen Fall um Fall. Dabei verfügt man auch über die magische Fähigkeit, Lügen zu erkennen!
Man ist so gefragt, dass man sich vielleicht noch den einen oder anderen exzentrischen Spleen erlauben darf, so wie beispielsweise Adrian Monk in der gleichnamigen TV-Serie sagt: "it's a gift but also a curse."
Sie ahnen wohl, was jetzt kommt: Als forensische Psychologin muss ich leider vielen Jungen, die diesen Berufswunsch haben, eine etwas ernüchternde Antwort geben, denn es gibt in der Schweiz praktisch keine Fallanalytiker-Stellen und die wenigen 2-3 die es gibt, werden polizei-intern an erfahrene Ermittler/innen vergeben. Die Polizei offeriert intern sehr viel psychologische Ausbildung, die - je nach Gebiet - durch angesehene internationale Spezialisten durchgeführt werden. Die Profiling Ausbildung beim FBI ist ebenfalls für die erfahrenen Kriminalpolizisten reserviert und polizeiintern existiert eine lange Warteliste.
Die "Profiler", die sich manchmal in der Presse als solche profilieren, sind oft Scharlatane. Sie geniessen in Polizei- und Justizkreisen wenig Ansehen. Manche von ihnen nutzen die Notlage von Angehörigen der Opfer von ungeklärten Verbrechen gezielt aus und erstellen gegen viel Geld unnütze, fachlich unhaltbare "Gutachten".
Polizeiliche Ausbildungen im In- und Ausland
Welche reale Möglichkeiten bestehen, einen polizeilichen Beruf zu ergreifen? In der Schweiz können Sie sich bei einer Polizei-Akademie bewerben und dann innerhalb der Polizei zum Ermittler / Detektiv aufsteigen. Polizeipsychologen hingegen werden fast nur für die Personalselektion und im HR Management eingesetzt.
Falls Sie einen deutschen Pass haben, können Sie sich beim BKA, den Landeskriminalämtern, beim Verfassungsschutz oder dem BND informieren oder die Ausbildung zum Kriminalkommissar an einer Polizeihochschule machen (manche nehmen auch Ausland-Schweizer auf, falls sie schon länger in Deutschland Wohnsitz haben). Wenn Sie einen amerikanischen Pass haben, können Sie sich beim FBI, beim ATF, beim US Secret Service oder dem CIA zur Ausbildung bewerben, siehe Homepages. Für Kanadier/innen gibt es die Royal Canadian Mounted Police und den Canadian Security Intelligence Service (CSIS).
Nicht empfehlen kann man die teilweise sehr teuren (privaten) Seminare in Frankreich. Wirkliche Fallanalyse wird dort nicht unterrichtet.
Mythen in den TV-Serien und die Realität
Nun zur Fallanalyse selber. Die aktuellen TV Serien vermitteln leider ein völlig unzutreffendes Bild der polizeilichen Arbeit.
Nota bene - die genannten TV-Serien sind tolle Unterhaltung und bauen wissenschaftliche Erkenntisse sehr spannend in die Geschichten ein. Nichts gegen die Serien ...
Aber ist hier die Wirklichkeit, was die Methoden der Strafverfolgung anbelangt:
1) Fahndung nach der Täterschaft ist nur ein kleiner Teil der kriminalistischen Arbeit, viel wichtiger ist heute die Beweisführung vor Gericht. Zudem, es gibt kaum Serienmörder in der Schweiz - zum Glück! Die befreundeten Staaten helfen dann jeweils der Schweiz aus, d.h. Profiler des BKA oder des FBI etc. Der grösste und wichtigste Helfer bei der Fahndung ist heute die DNA-Datenbank und der Kommissar Zufall. Nach erfolgreicher Fahndung und Verhaftung eines Verdächtigen ist der Fall also keineswegs "gelöst", jetzt muss nämlich jede Tat in jedem Detail bewiesen werden.
2) Irrtum Nr 2: es gibt kein Geheimwissen. Jedermann kann sich auf Amazon Bücher über Kriminalistik, Mord-Ermittlung, Profiling etc. bestellen und diese lesen.
3) Irrtum Nr 3: stundenlanges Herumschleichen nachts auf dem Tatort mit der Idee, sich ganz in die Täterschaft einzufühlen, ist gar nicht gefragt. Mit geheimnisvollen Handbewegungen wie Adrian Monk würde man bei den Fachleuten v.a. Lachanfälle auslösen. Vielmehr wird der Prozess der Ideengewinnung systematisch im Ermittlungsteam durchgeführt, alle Spezialisten sind Teamplayer und niemand schiesst das "Goal" alleine. Schon gar niemand geht an die Presse damit.
4) Irrtum Nr 4: logisches Denken à la Sherlock Holmes oder Adrian Monk ist keinesfalls das Hauptmittel der Ermittlung. Viel wichtiger ist systematisches und fleissiges Zusammentragen von Infos und mühevolles Aufarbeiten von Datenbergen. Z.B. das Erstellen von ganzen Listen bestimmter Infos oder Dokumente. Wirkliche Fallanalyse gleicht daher vielmehr der Arbeit einer Steuerbeamtin oder eines Buchalters, die minutiös alle Fakten zusammentragen und analysieren.
5) Kenner/innen der Serie "Criminal Minds" wissen, dass die Profile im Hintergrund immer durch die TV-"Data-Mining Spezialistin" Penelope Garcia mit Datenbanken und Satellitenüberwachungssystemen abgeglichen werden. Nur diese "Rasterfahndung" führt zu konkreten Fahndungsergebnissen. Nun gibt es aber sowohl in den USA als auch in Europa strenge Datenschutzgesetze. Die Polizei kann nicht einfach militärische Datenbanken, Krankenkassen, Banken, Schulen, Spitäler etc, durchforsten. Das ist verboten. Auch wissenschaftlich ist es zuwenig fundiert, es gibt eben leider keine spezifische Einbrecher-Persönlichkeit, typische Bankräuber, Vergewaltiger, Serienmörder, Brandstifter, etc. D.h. die Täter-Profile sind in den allermeisten Fällen viel zu unspezifisch, um bei der Fahndung wirklich relevante Hinweise zu liefern. Was soll man mit der Information, dass 40 Prozent der Vergewaltiger als Kinder Bettnässer waren, konkret anfangen?
6) Psychologische Einvernahmetechniken: Deputy Chief Brenda Leigh Johnson, "The Closer", ist eine Spezialistin für psychologische Einvernahmemethoden und eine ganz lässige Person mit viel Identifikationspotential für uns Frauen. Sie lebt leider in ihrem Hollywood Studio ebenfalls in einer anderen Welt als der, der schweizerischen Gesetzgebung. "Brenda Leigh" mit dem oben zugeknöpften Jäckchen und voller Empathie bringt ihre Fälle nämlich grösstenteils mit dem unüblichen Mittel der Erpressung zur Aufklärung. Dazu ermittelt sie bevorzugt in Bereichen des Privatlebens ihrer Zeugen, Opfer und Tatverdächtigen (sowie deren Angehörigen), die mit der eigentlichen Strafuntersuchung nichts zu tun haben (strafprozessual verboten). Dann benutzt sie dieses Wissen, um ihre Verhör-Opfer zum Gestehen zu bringen und nach der Manier des plea bargain einen Deal abzuschliessen.
7) Noch viel unrealistischer ist die Serie "Lie To Me". Kenner/innen wissen, dass der TV Charakter "Dr. Cal Lightman" seine Kundschaft mit wilden Verhören, im Stil: "Sie lügen, ich weiss es!" traktiert. "Dr Lightmann" agiert übrigens immer ohne jegliche Rechtsbelehrung, wohingegen "Brenda Leigh" wenigstens diese kennt und anwendet. In der Schweiz darf einzig die Polizei und die Staatsanwaltschaft resp. das Untersuchungsrichteramt Einvernahmen durchführen. Oft benutzt TV-"Lightman" das Mittel der Täuschung, um seine Klienten dazu zu bringen, sich zu verraten. Dies ist verboten in der Schweiz. In der Einvernahme von kleinen Kindern brillierte "Dr. Lightman", indem er einen 5-jährigen Bub, der noch an den Samichlaus glaubte, bedrohte, "er werde vom Wolf geholt, wenn er jetzt nicht die Wahrheit sage". Die Methode funktionierte dann übrigens gar nicht, weil das Kind durch Suggestionen beeinflusst worden war (etwas, das tatsächlich vorkommen kann). Kriminologische Studien haben ergeben, dass solche (menschenrechtswidrigen) Verhörmethoden oft zu falschen Geständnissen führen.
Wissenschaftlich ist auch hier Einiges zu monieren. Die mimischen Signale in den micro-momentary expressions (MMEs) sind keineswegs eindeutige Lügensignale. Leute können sehr wohl Verachtung oder Unglauben auf ihrem Gesicht zeigen und dabei die Wahrheit sagen. Als Lügendetektion ist die Methode von Paul Ekman noch zuwenig validiert. Wie ist die Reliabilität der Erkennung von bestimmten MMEs, wie valide sind die Interpretationen? Weiter ist es umstritten, inwiefern bestimmte Gesichtsausdrücke universelle menschliche Emotionen darstellen und inwiefern kulturelle Einflüsse die Mimik und das non-verbale Verhalten beeinflussen. Dazu existieren auch einige Mythen, die schlichtwegs falsch sind. Die sog. grooming gestures (das Gesicht berühren, etc) oder das Abwenden des Blickes sind überhaupt keine Lügenmerkmale, das ist völlig falsch.
Hier die guten Nachrichten - reale Ausbildung und Berufschancen in der forensischen Psychologie
Nun, falls Sie nach soviel Ernüchterung noch durchhalten - hier die guten Nachrichten: kriminalistischer Spürsinn ist eigentlich in ganz vielen akademischen Berufen gefragt und macht die Arbeit spannend, man muss die Herausforderung nur sehen! Besonders in der klinischen Psychologie und der Rechtspsychologie muss man heute viele Gutachten und Analysen machen. Auch in der Psychotherapie muss man seinen Patienten oft auf die Schliche kommen, um wirklich helfen zu können. In den Bereichen der Gutachten und Therapien jugendlicher Delinquenten und in der Glaubhaftigkeitsbegutachtung sind gut ausgebildete und praxiserfahrene forensische Psycholog/innen sehr gefragt. Es besteht ein Markt, siehe dazu die regelmässigen Weiterbildungen der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtspsychologie SGRP / SSPL .
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